30 Jahre Mauerfall – 30 Jahre Revolution 2019

Bilbor-Rumänien, Dezember, vor Weihnachten, 1989

In meinem Bergdorf herrscht ein harter Winter. Ich und meine Oma sind draußen, im Hof, und versuchen Brennholz zu sägen mit einer veralteten, stumpfen Säge. Es ist bitterkalt, das Holz hart und gefroren, wir auch. Mein Bruder ist irgendwo, im Dorf, verschwunden. Auf einmal höre ich auf der Dorfstraße seine Stimme: Ceausescu ist weg, wir sind frei! Ceausescu ist weg, wir sind frei! Aber an diesem winterlichen Spätnachmittag reagiert niemand auf seine Worte. Die Bauern sind entweder auf ihren Höfen mit den Tieren beschäftigt, oder mit ihrer eigenen Hilflosigkeit. Andere sind bei der Arbeit, in Fabriken, Bäckereien, Läden. Wir werden nicht fertig mit dem Brennholz, ich bin zu klein und ungeschickt für diese Arbeit, meine Oma, zu alt. Wir bräuchten kräftigere Hände, und meine Oma ist wütend auf meinen Bruder, weil er fast den ganzen Nachmittag verschwunden ist und uns mit der ganzen Arbeit im Stich gelassen hat. Es ist schon fast dunkel, die Tiere müssen gefüttert, das Brennholz gehackt und ins Haus gebracht werden, Feuer angezündet, Wasser vom Brunnen geholt und dann noch etwas für den Abend gekocht werden. Eine Menge Arbeit und jetzt, als die Dämmerung all diese Sorgen der Oma enthüllt hat, erscheint mein Bruder wie ein unglaubwürdiges Weihnachtswunder.

– Komm nur her, du Faulpelz, was für Dummheiten redest du, was für eine Freiheit, was für einen Ceausescu hast du im Kopf, bald kommen deine Eltern, die Tiere sind hungrig, und wir haben kein Essen vorbereitet, kein Feuer im Ofen. Und Brennholz konnten wir auch nicht sägen mit dieser stumpfen Säge.

 – Oma, ruft mein Bruder noch lauter, mit aller Kraft, Ceausescu ist verschwunden, glaub mir, wir sind frei!

– Lass mich in Ruhe mit deiner Freiheit, komm her und hilft uns mit den Holz, sonst kannst du was erleben, von wegen Freiheit! Gibt dir deine Freiheit was zum essen, gibt sie dir Brennholz, Feuer?

Als mein Bruder sieht, dass meine Oma ganz rot geworden und ihr Tuch auf dem Kopf zur Seite gerutscht ist, versteht er, dass jetzt kein Wort mehr zu sagen ist, und so schnell wie er gekommen ist, so schnell ist er wieder verschwunden.

Wir blieben wortlos in der Dunkelheit, unsere Hilfe ist weg, wie Ceausescu tatsächlich, und nur diese Worte tanzen uns in den Ohren, wie kleine Funken in der Nacht: Wir sind frei, wir sind frei, wir sind frei!

Aber an jenem Abend können diese Worte unseren Hunger nicht stillen. Und das Gesicht der Freiheit hat meine Oma nie zu sehen bekommen.

foto credit condrat © Bilbor-Rumänien

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